Bleib mir weg mit deiner Selbstliebe!

Self Love O-Diaries

Was hilft bei den großen Krisen des Lebens, wenn alles schief geht und kein Land mehr in Sicht ist? – Klar, ein ausgedehntes Schaumbad, tief durchatmen und die Welt sieht gleich viel besser aus. Als ob – zahlreiche Selbstliebe Tipps sind einfach nur Schmu! Ein Meinungsstück!

Alles ist dunkel, schwer und viel

Es gibt diese Tage, an denen mir Überforderung, Selbstzweifel und Unsicherheit im Gesicht abzulesen sind. Ich habe das Gefühl mein Leben nur so zu jonglieren, aber von Kontrolle kann nicht die Rede sein. Nicht selten höre ich dann Ratschläge a la „Gönn Dir mal eine Auszeit oder eine Belohnung  – ein Schaumbad etwa oder kauf Dir was Schönes.“ Mein Hass auf mich selbst springt damit auch auf mein Gegenüber und potenziert sich zu allem Überfluss, weil ich eigentlich auch nicht ungehalten zu meinen Freunden sein will. Aber gut gemeinte Ratschläge sind meistens auch nur das – gut gemeint.

Du schaffst es, Girl!

#Selbstliebe ist en vogue: Auf Instagram werden dutzende Bilder mit dem Hashtag propagiert. Darauf zu sehen sind Frauen, die es sich mal so richtig gemütlich machen, sich ein heißes Schaumbad gönnen und so den Sorgen des Alltags entkommen. Was für ein Schmu! Ich möchte gerne mal die alleierziehende Mutter kennen lernen, die am Existenzminimum lebend, ihre Kinder groß zieht und in der Badewanne liegend, den Haushalt mit einem Lächeln schmeißt. Zugegeben – ich habe hier ein extremes Beispiel gewählt, aber keinen Einzelfall. Wir alle werden vor Herausforderungen gestellt, die uns an unsere persönlichen Belastungsgrenzen bringen. Die gesellschaftliche Reaktion darauf sind Kalendersprüche, die uns durchhalten lassen sollen und wir fügen uns.

Work-Life-Balance am Arsch

Bunte Instagram-Profile von sogenannten „Power-Frauen“, die zehnarmig und perfekt gestylt ihr Leben bewältigen, suggerieren uns, dass alles möglich ist. Work-Life-Balance ahoi und das Kind wird schon geschaukelt. Wir setzen uns gegenseitig unter einen Leistungsdruck, der so überflüssig wie schädlich ist. Was wir brauchen sind finanzierbare Konzepte für die Kinderbetreuung und  geeignete Modelle für berufstätige Eltern – um nur einige Beispiele zu nennen.

Was wirklich hilft – Aktivismus

Die meisten unter uns sind durchaus in der Lage, sich um ihr Seelenwohl zu kümmern, was aber jemand braucht, der sich gerade vom Leben überfordert fühlt, ist Hilfe. Die kann ganz unterschiedlich ausfallen. Ich habe kürzlich einer Freundin, die im Chaos unterging, beim Haushalt geholfen. Manchmal müssen nur Telefonate geführt oder Prozesse organisiert werden, die eine überforderte Person kurzfristig nicht durchführen kann. Aktive Unterstützung ist deutlich effektiver als Floskeln, die Trost spenden sollen. Ein Kind, das gestürzt ist, braucht Trost – ein hilfloser Erwachsener braucht jemanden, der anpackt.

Was noch hilft – Realismus

Ich möchte nicht sagen, dass aufbauende Worte oder Ratschläge gar keine Wirkung haben, aber sie sollten doch bitte realistisch sein. „Alles wird gut“ trifft oft einfach nicht zu. Manchmal wird alles erstmal schlimmer und dann wird es anders. Die Illusion von einer heilen Welt zu malen, erscheint mir nicht fair. Die aufrichtige Selektion des Status quo und eine realistische Lösungssuche sind vielleicht weniger tröstlich, aber doppelt nützlich.

Selbstliebe vs. Realität

Ich halte den Drang danach, mich zu jedem Zeitpunkt selbst lieben zu müssen für verlogen. Manchmal mag ich mich aus berechtigtem Grund nicht. Ich mache Fehler, verhalte mich ungerecht, setze die falschen Prioritäten oder bin einfach mal faul – kurzum ich verhalte mich wie ein normaler Mensch. Wir sollten uns lossagen von Perfektionismus und dem Streben nach Vollkommenheit, denn das macht uns fertig. Ich weiß nicht, ob es eine Balance aus Abscheu und Liebe geben kann, aber ich möchte es gerne üben. Die bedingungslose Selbstliebe ist eine scheinheilige Illusion, der ich nicht lange frönen will. Mein Vorschlag als Gegenentwurf für das romantische Schaumbad: eine kalte Dusche oder einfach mal zehn Minuten in der leeren Badewanne liegen und gucken, was passiert…

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Autor

Fitness Trainerin, Bloggerin für Louise et Hélène, Fotografin und Schildkröten-Mama: Konstanze ist bereits in viele Rollen geschlüpft. Ihre feste Überzeugung: Das Leben ist ein Spielplatz, wo man jeden Tag neue spannende Dinge entdecken kann. Neugierde und Tatendrang bewegen Konstanze zum Schreiben. Ihr Steckenpferd: Die Rolle der Frau in gesellschaftlichen Spannungsfeldern. Was bedeutet es, eine Frau zu sein? Welche Herausforderungen bringt das mit sich? Wie kann ich meine Weiblichkeit ehrlich ausleben? Und wo ist die Balance zwischen Körperkult und Body Positivity? Ohne Dogmatismus und mit viel Humor begibt sie sich auf die Suche nach Antworten.